Blauer Montag – oder: Naher Osten Teil 03

2008:07:08 um 18:05:54 | Veröffentlicht in Erlebtes, Galabau | 1 Kommentar
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Fortsetzung von Teil 02

Die eigentliche Kantine befindet sich in dem hinteren Gebäude, der von mir so bezeichnete „Wintergarten“ ist offenbar ein Anbau der jetzt als Speisesaal dient und durch einen später hinzugefügten Durchlass zu erreichen ist. Das seltsamste ist der Fußboden, er ist ordentlich gefliest, aber enthält alle paar Meter Punkteinläufe mit jeweils deutlichem Gefälle dorthin, so dass die gesamte Fläche etwa gleichmässig in trichterförmige Felder unterteilt ist. Mich irritiert bloß der geringe Abstand, so etwas würde in einer Waschkaue durchaus sinnvoll sein, und um einen Bergbaubetrieb handelte es sich ja hier auch, nur, die rundum bis zum Boden verglasten Wände passten nicht dazu, wer zieht sich schon gerne in einem an der Straße gelegenen Wintergarten um? Die Kantine war privatisiert worden, und sollte irgendeinem Stinkstiefel gehören, der sich aber so gut wie nie blicken ließ. Das Küchenpersonal war durchgehend weiblich, was durchaus auffiel, da sich im gesamten Umkreis von über 2 km zu diesem Zeitpunkt ansonsten nur eine einzige Frau aufhielt. Ich glaube sie gehörte zu einer Tischlereifirma die irgendwo Innenausbau machte. Es gab jeweils 2 Menues zur Auswahl, man konnte aber auch Bockwurst mit Brötchen oder Frikadellen mit Kartoffelsalat o.ä. bekommen.
Hier mal eine persönliche Anmerkung zu Kantinen. Als Gärtner war man fast immer auf wechselnden Baustellen und zumeist auf auswärtige Kost angewiesen. Einige ältere Mitarbeiter aßen fast ausschließlich ihre mitgebrachte Verpflegung, wobei die ausländischen Mitarbeiter fast immer eine liebevoll zusammengestellte reichhaltige Verpflegung dabei hatten. Wir jüngeren hatten wenn überhaupt bloß Knifften oder Bemmen für’s Frühstück mit und versorgten uns zum Mittag meistens aus der näheren Umgebung. Wenn wir bei der Ruhrkohle arbeiteten gab’s meistens Kantinen, ansonsten hatte man nach einiger Zeit etliche Erfahrung mit Imbissen aller Art.
Ich hab deshalb schon öfters eklige und unappetitliche Läden und Speisen gesehen, aber das viel gehörte Kantinenbashing von manchen Leuten kann ich echt nicht ab. Wenn man statt für kleines Geld eine deftige Mahlzeit, irgendeine ausgefallene Spezialität, wenn’s geht auch noch mit erfüllten Sonderwünschen erwartet, soll man entweder in ein reguläres Restaurant gehen, oder sich seinen Krempel selber mitbringen. Das ewige Genöle übers Essen hab ich nie verstanden.
Das Essen war auf jeden Fall reichhaltig, und die Portionen mehr als gut. An die Preise kann ich mich nicht mehr erinnern, außer das ich daran nichts zu meckern fand. Und ich hab ca ein halbes Jahr lang fast täglich da in der Woche gegessen. Das Personal war freundlich und wir sind oft abends noch nach 19:00 dahin gefahren, dann aßen wir das was übrig geblieben war, die letzten Würstchen, Kotteletts o.ä. wurden auch extra für uns noch mal warm gemacht. Im Gegensatz zum Mittag, wo mehrere hundert Bergleute und Monteure, die gerade das gesamte Industriegebiet neu errichteten, dort Essen fassten, waren wir spät abends meistens die einzigen Gäste. Dort hab ich dann nach einem Tipp von S.B. abends auch meine erste Soljanka probiert.
Während wir am Tisch saßen und aßen beguckte ich mir das ganze Treiben um mich rum. Die eine Hälfte der Gäste bestand aus den Monteuren fast sämtlicher Gewerke: Hochbau, Tiefbau, Innenausbau, Maschinenbau, Maler, Zimmerleute, Dachdecker, Elektriker etc, und zwar so wie ich das beurteilte, zu über 90% aus dem Westen. Die Andere anscheinend aus Bergleuten der Wismut. Die Tische waren alle gleich groß und hatten jeweils Platz für 4 Personen, da es im gesamten Raum wegen des beschrieben Gefälles keine einzige halbwegs waagerechte Stelle gab, und 3 Punkte eine Ebene bilden, aber jeder Tisch 4 Beine hatte, ergab sich die groteske Situation, dass jeder Tisch wackelte, wirklich ausnahmslos jeder.

Und um dieses faszinierende Gesamtbild noch zu steigern, hatten die Leute am jeweiligen Tisch mindestens ein Bein „unterfüttert“. So etwas war mir aus Kneipen durchaus vertraut, aber bei uns nahm man dafür normalerweise Bierdeckel, hier nicht, hier nahm man Besteck. Ja Besteck, denn das bestand auch nicht aus Stahl sondern aus Aluminium, (noch so ein Faszinosum der sozialistischen Mangelverteilung) und ließ sich problemlos umbiegen. Das klappte leider gelegentlich auch unfreiwillig beim Fleischzerteilen. Jedenfalls befand sich unter jedem Tisch eine Einzelanfertigung aus einem Konglomerat von umgebogenen Messern, Gabeln und besonders Löffeln, bei denen passte nämlich das Stuhlbein ganz gut in die für Suppe gedachte Vertiefung.

Bei den Wismutmitarbeitern handelte es sich um Bergleute, die noch benötigt wurden um den Betrieb geordnet aufrecht zu erhalten. Die Uranerzförderung wurde nach der Wende zwar eingestellt aber man kann ein Bergwerk nicht einfach stillegen. Beziehungsweise man kann schon, aber dann muss man aus der darüberliegenden Fläche sozusagen ein Naturschutzgebiet ohne Zutrittserlaubnis machen, was zumeist schwierig ist, wenn sich wie so oft noch komplette Siedlungen darüber befinden. Bergschäden entstehen entgegen landläufiger Meinung weniger durch den eigentlichen Betrieb, sondern meistens durch den Verfall bereits stillgelegter Flöze. Legt man ein Bergwerk still und schaltet die Pumpen ab, läuft es in kürzester Zeit mit Grubenwasser voll und säuft ab. Es kommt zu massiven Einbrüchen. Ein einmal eingestellter Bergwerkbetrieb kann deshalb auch nie wieder reaktiviert werden, das sollte man mitbedenken wenn man zum Beispiel über Stilllegungen der Kohleförderung im Ruhrgebiet nachdenkt.

Es muss also einen geordneten „Rückbau“ geben, will man immense Folgeschäden vermeiden. Das wichtigste ist zunächst die Pumpen weiter zu betreiben um die Anlagen unter Tage trocken zu halten. Und dann müssen die Abstützungen ständig überprüft und gegebenenfalls erneuert werden bis alle Hohlräume verfüllt sind. Ein enorm kostspieliges und zeitaufwendiges Unterfangen, das aber wenigstens einem Teil der ursprünglichen Belegschaft noch einige Jahre die Arbeitsplätze erhalten würde. Im Falle der Wismut kam als Besonderheit noch hinzu, dass das schwach radioaktive Bergematerial, aus dem die beiden bereits genannten Halden bestanden, wieder abgetragen und nebenan zum ehemaligem Tagebau Lichtenberge verbracht werden sollte. Dort war später dafür die größte Kipperflotte Europas im Einsatz. Bis zur Bundesgartenschau 2007 in Gera entstand dort dann die Neue_Landschaft_Ronneburg.

Erkennen konnte man die Kumpel alle an ihren Blaumännern. Und das fand ich die nächsten Tage jedesmal faszinierend. Also die Blaumänner schienen mir (ich bin ja nicht aus der Textilbranche, die lag ja mehr so bei W´tal oder der falschen Rheinseite bei Krefeld) von etwas geringerer Qualität als aus dem Westen, aber ansonsten durchaus vergleichbar. Ich war selbst nie beim Barras aber ich habe gehört, dass es Uniformen in ausschließlich drei verschiedenen Größen gibt. Normal, Groß und Klein. Das ist natürlich schlecht, denn die Menschen sind ja verschieden. Es gibt wohl drei Hauptunterteilungen in: Ektomorph, Mesomorph, und Endomorph und daraus setzen sich dann etwa 80 Unterkategorien zusammen. (Das habe ich gerade nachgeschlagen, das ist kein Hobby von mir). Nun könnte man meinen, Blaumänner aus DDR Produktion gäbe es auch bloß in 3 Größen, zum einem wegen der Mangelwirtschaft und zum anderem muss man darin ja nun wirklich nicht besonders chic drin aussehen. Gab es aber nicht, es gab durchaus mehr, zwar keine 80 verschiedenen, (gabs im Westen ja natürlich auch nicht), aber ich schätze so an die 12 verschiedenen Größen gabs schon, wenn man die Jacken mitzählt. Also für kleine stämmige Leute, für kleine normale Leute, für kleine Schmächtige, für Normalgroße mit und ohne Bauch, für schlacksige lange Kerls, für richtig Kräftige, für fast jeden Typ gab’s die passende Größe.
Jetzt werden Sie sich fragen, „Wozu erzählt der das? Das ist doch total selbstverständlich und langweilig.“ Die Antwort ist, ich frage mich bis heute, wenn damals in der DDR die Menschen genauso verschiedene Staturen hatten wie im Westen, und es Blaumänner in zig verschiedenen Größen gab, wozu hat man denn damals offenbar ein Gesetz erlassen, welches es augenscheinlich ausnahmslos jedem Kumpel verbat, einen ihm passenden Blaumann zu tragen?

Glück auf!

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